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Vom Homo Ludens - oder dem Potenzial des verspielten Erwachsenen

Aktualisiert: 4. Nov. 2022



Er wurde uns allen zu Beginn mit auf den Lebensweg gegeben. Ohne ihn hätten wir gar nicht erst angefangen diese Welt zu entdecken und womöglich nie etwas Neues ausprobiert - gemeint ist unser angeborener Spieltrieb! Bei vielen geht er jedoch im Laufe des Erwachsenwerdens ein Stück weit verloren weil sich ihm gesellschaftliche Norm- und Wertvorstellungen entgegenstellen oder unsere Leistungsgesellschaft ihren eindämmenden Beitrag dazu leistet. In diesem Prozess wird er von den Betroffenen dann meist als unnütz, irrelevant oder kindisch abgestempelt und hat angeblich nichts mehr mit einer zielorientierten Entwicklung hin zu großen Karriereplänen zu tun.


Manch eine/r entdeckt ihn dann zu einem späteren Zeitpunkt im Leben wieder, etwa wenn die eigenen Kinder geboren und diese bei all ihren kleinen und großen Entwicklungsschritten begleitet werden. Da kann es auch vorkommen, dass die alten Leidenschaften wieder ganz neu entfacht und die eingestaubten Legokisten vom Dachboden geholt werden. Und plötzlich kniet auch der gewinnorientierte Unternehmensmanager stundenlang auf dem Teppich und widmet sich selbstgenügsam und hingebungsvoll dem Zusammensetzen kleiner bunter Plastikteilchen.


Wieder andere, die kein leichtes Los im Leben gezogen und z. B. durch kindliche Traumatisierungen erfahren haben, dass sie zu früh auf eigenen Beinen stehen und ein hohes Maß an Verantwortung (auch für Andere) tragen mussten, haben diese Form der Unbeschwertheit vielleicht nie richtig kennengelernt. Die Unterdrückung des eigenen Spieltriebs diente in diesen Fällen vielmehr als physische und/oder psychische Überlebensstrategie, bei der die Umgebung möglicherweise ständig auf Gefahrenquellen hin gescannt wurde. Hier kann es sogar einen therapeutischen Wert haben, diesen überhaupt oder wieder erlebbar zu machen.


Und dann gibt es natürlich auch noch diejenigen von uns, die ewig jung geblieben scheinen. Dies kann sich im ungünstigsten Fall auf dem pathologischen, also krankheitsverursachenden, Spektrum der Spielsüchtigen abspielen, wo die eigene Existenz eher auf virtuellem Boden aufgebaut wird oder die Lebenszeit bei strahlendem Sonnenschein in dunklen Spielhöllen und Wettbüros verlebt wird. Es kann sich bei der Bewahrung dieser spielerischen Art jedoch auch um eine mehr oder weniger bewusste salutogene, d.h. gesundheitserhaltende, Lebensstrategie handeln. Diese Menschen wiederum haben ihren Spieltrieb im Laufe des Lebens in immer neue entwicklungskonforme Formen überführt. So können dabei das sportliche Spielvergnügen bei einem Fußballturnier, der Gesellschaftsspieleabend mit Freunden, die handwerkliche Spielfreude bei der Gestaltung eines rohen Holzstücks hin zu einem Musikinstrument, die leidenschaftliche Ausgestaltung der Tortenverzierung in der Küche, die vergnüglichen Proben in der Laientheatergruppe oder ein ausgelassener Tanzabend im Vordergrund stehen.


Und nicht nur diese Alltagsbeobachtungen können etwaige zwischenmenschliche Unterschiede in unserem individuellen Spieltrieb verdeutlichen. Seit einigen Jahren befasst sich u.a. die Forschergruppe um Prof. Dr. René Proyer an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg aus wissenschaftlicher Sicht mit den psychologischen Effekten der Verspieltheit bei Erwachsenen. Dabei wird Verspieltheit bei Erwachsenen als ein überdauerndes Persönlichkeitsmerkmal definiert, welches es diesen Menschen erlaubt, ihren Alltag so (um) zu gestalten, dass sie ihn als unterhaltsam, intellektuell anregend und persönlich interessant erleben [1]. Unterschieden werden dabei vier verschiedene Facetten von Verspieltheit, die jeweils unterschiedlich stark sowie in jeder möglichen Kombination untereinander in einer Person ausgeprägt sein können (OLIW-Modell) [2]:


  • „Auf andere ausgerichtete Verspieltheit (»Other-directed«): sich spielerisch mit anderen Menschen auseinandersetzen, freundschaftliches Necken anderer, andere durch Unerwartetes überraschen etc.


  • Leichtherzige Verspieltheit (»Lighthearted«): Improvisation mögen, das Leben eher als Spielfeld denn als durch Ernsthaftigkeit geprägte Umwelt erleben, neuen Situationen offen begegnen, weil sich »alles irgendwie lösen lässt«, sich Zeit für Spiel und Vergnügen nehmen etc.


  • Intellektuelle Verspieltheit (»Intellectual«): Wortspiele mögen, Komplexität der Einfachheit vorziehen, Routinetätigkeiten ablehnen und nach neuen Wegen und Problemlösungen suchen, gerne mit Ideen und Gedanken spielen etc.


  • Extravagante Verspieltheit (»Whimsical«): Präferenz für ungewöhnliche oder ausgefallene Menschen, Tätigkeiten oder Objekte, Interessen abseits vom Mainstream, den »Schalk im Nacken« sitzen haben etc.“


In zahlreichen Studien wurde mittlerweile untersucht, welche Rolle die einzelnen Facetten von Verspieltheit in verschiedenen Lebensbereichen spielen können. Dabei konnte u.a. gezeigt werden, dass Erwachsene mit einem allgemein hoch ausgeprägten Maß an Verspieltheit oftmals auch höhere Werte im Bereich körperlicher Fitness aufweisen oder einen allgemein aktiveren Lebensstil pflegen [1]. Weiterhin zeigten sich positive Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden, die Lebenszufriedenheit sowie das individuelle Stresserleben.

Im Beziehungsleben zeigte sich, mit Ausnahme der Facette der leichtherzigen Verspieltheit, eine überzufällige Ähnlichkeit zwischen den Beziehungspartnern in ihrer Verspieltheit. Auch wenn diese Ähnlichkeit noch nicht direkt die Zufriedenheit in der Beziehung vorhersagen konnte, so wirkte sich die intellektuelle sowie die auf andere ausgerichteten Form der Verspieltheit positiv auf die Beziehungsqualität aus, z.B. in Bezug auf die sexuelle Zufriedenheit [2].

Im Arbeitskontext konnten die verschiedenen Facetten von Verspieltheit einige überwiegend positive personenbezogenen Merkmale vorhersagen. Auch wenn sich die leichtherzig Verspielten durch einen wenig planungsbasierten kognitiven Arbeitsstil auszeichneten, ging die intellektuelle Verspieltheit mit einem hohes Maß an Neugierde einher. Diejenigen, die sowohl intellektuell verspielt waren als auch ihre Verspieltheit auf andere ausrichteten erzielten hohe Werte im Bereich der arbeitsbezogenen Kreativität [3].


Im universitären Bereich wiesen verspieltere Studierende insgesamt bessere Noten und eine höhere Bereitschaft zur Bearbeitung freiwilliger Zusatzaufgaben auf. Diskutiert wird hierbei, dass dies möglicherweise auf eine spielerische Herangehensweise an Aufgaben zurückzuführen ist, die unter Nutzung kreativer Mittel erfolgt und insgesamt förderlich für die Aufgabenbewältigung im Studienalltag sein könnte.

Abschließend stellt sich nun jedoch die Frage, ob sich gerade bei den Erwachsenen, die im Laufe der Zeit vielleicht einen Teil ihrer Verspieltheit an den „Ernst des Lebens“ verloren haben, diese Ressource reaktivieren lässt bzw. ein Training dieser Fähigkeiten als schützender Resilienzfaktor dienen könnte. Unter Resilienz wird dabei die psychische Widerstandskraft verstanden, die uns persönliche Krisensituationen erfolgreich meistern lässt. Gerade im Bereich psychischer Störungen könnte sich dies positiv auf die psychotherapeutische Behandlung bzw. Prävention depressiver Symptome oder des Burnoutsyndroms auswirken. Vielversprechend sind diesbezüglich die Ergebnisse einer ersten Studie von Proyer et. al. aus dem Jahr 2021 [4], in denen drei verschiedene einwöchige Interventionen zur Förderung von Verspieltheit beitrugen und jeweils positive Kurzzeiteffekte auf das Wohlbefinden aufwiesen und depressive Symptome lindern konnten.


Somit lässt sich festhalten, dass die Integration verspieltheitsfördernder Elemente in der Psychotherapie oder einem Coaching die Chance auf positive Veränderungs- und Entwicklungsprozesse bietet. Mithilfe einfacher Übungen lassen sich die Improvisationsfreude, das freie Gedankenspiel sowie das Generieren unkonventioneller Ideen trainieren und so könnten langfristig unsere Kreativität, Resilienz und Veränderungskompetenz gefördert werden.


Die „Arbeit an sich selbst“ muss also nicht etwa mit zunächst noch mehr Leid, Schweiß oder Tränen verbunden sein, wie manch eine/r vermuten mag, sondern darf auch einfach mal Freude bereiten und uns wieder ein bisschen mehr in eine nostalgische Stimmung oder einen ganz neu zu entdeckenden „Flow“-Zustand versetzen, bei dem wir völlig selbstvergessen in dem aufgehen was wir gerade tun.




Literatur


[1] Proyer, R./Gander, F./Bertenshaw, E. J./Brauer, K. (2018), The Positive Relationship of Playfulness With Indicators of Health, Activity, and Physical Fitness, Frontiers in Psychology, Vol. 9.


[2] Brauer, K./Proyer,R./Sendatzki, R. (2022), Verspieltheit im Erwachsenenalter: Eine Ãœbersicht, reportpsychologie, 47, 02/2022.


[3] Brauer, K./Proyer, R. (2017, Dezember), Testing the association between adult playfulness and work-related outcomes in adult professionals [Poster], PlayTrack Conference, Aarhus, Dänemark.


[4] Proyer, R./Brauer, K./Gander, K./Chick, G. (2021), Can Playfulness be Stimulated? A Randomised Placebo-Controlled Online Playfulness Intervention Study on Effects on Trait Playfulness, Well-Being, and Depression, Applied Psychology: Health and Well-Being.



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